Die Themen Medienkompetenz und digitales Lernen sind derzeit in aller Munde, seitdem uns die Krise und der Lockdown mit aller Härte die systemischen Defizite aufgezeigt haben. Wir haben mit Experten aus der Praxis gesprochen.
Wir von Avast haben im Zeitraum Juni bis Juli 2020 eine Befragung zu den Themen „Digitales Lernen und Homeschooling im Jahr 2020” von 6.060 Eltern weltweit durchgeführt. Dabei kamen für Deutschland Zahlen heraus, die uns überraschten. Lediglich die Hälfte der befragten deutschen Eltern sichert die Geräte ihrer Kinder für das Online-Lernen mit Antivirenprogrammen ab. Nur 40 Prozent aller Befragten klären ihre Kinder darüber auf, woran sie zuverlässige Internetquellen bei der Online-Suche erkennen. 37 Prozent der Erziehungsberechtigten geben an, dass Lehrer* keine Datenschutzregeln für das E-Learning vorgeben; Rund ein Drittel der Eltern berichtet sogar von Schularbeiten, die andere Schüler und Eltern offen auf Webplattformen einsehen können.
Grund genug für uns im Rahmen eines Webinars einen genaueren Blick auf die obigen Themen zu werfen. Unsere Teilnehmer mit unterschiedlichstem Background – Lehrer, Medienpädagogen, IT-Sicherheitsexperten und Eltern – haben sich ausgetauscht. Das folgende Interview ist ein Auszug aus der abschließenden Diskussion.
Teilnehmer:
- Moritz Mehlem, Lehrer für Englisch, Deutsch und ev. Religion an einer Realschule mit Fachoberstufe in Koblenz
- Markus Lautner, Fachlehrer für Wirtschaft und Musik, Mittelschule in Nürnberg
- Sabine Eder, Vorsitzende der GMK – Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur e. V.
- Jörg Ludwig, Geschäftsführer, IServ GmbH
- Oliver Kunzmann, Cybersicherheitsexperte bei Avast und Vater von zwei schulpflichtigen Kindern
- Moderation, Marina Ziegler, PR-Direktorin, Avast
Marina Ziegler: Wann sollte Medienerziehung anfangen - in der Kita oder in der Grundschule?
Sabine Eder: Digitale Medien spielen bereits in Familien mit Kleinkindern eine wesentliche Rolle und daher muss Medienerziehung auch früh beginnen. Medieninhalte können die Entwicklung von Kindern unterstützen und anregen, aber leider auch stören. Daher müssen Eltern, später dann auch ErzieherInnen und LehrerInnen, gemeinsam Agieren um ein gutes und sicheres Aufwachsen von Kindern, in medial geprägten Welten, zu begleiten. Medienerziehung versteht sich somit als gemeinsame Aufgabe von pädagogischen Fachkräften und Eltern, im Sinne bildungspartnerschaftlichen Engagements.
Der Erwerb von Medienkompetenz ist ein lebenslanger Prozess, da lernt wohl niemand aus. Und bereits Kinder können erste Erfahrungen darin sammeln, Medien kreativ und sinnstiftend zu nutzen. So wird die Grundlage für eine spätere, gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gelegt, in dem Medienkompetenz als Kulturtechnik unverzichtbar ist. Medienkompetent zu sein heißt, sich mit Medieninhalten kritisch auseinanderzusetzen aber auch, die Medien als hilfreiche Werkzeuge für die Kommunikation oder das Lernen kreativ und gewinnbringend einzusetzen. In den Projekten produzieren wir z.B. mit Kindern in der Kita eigene Bilderbücher, Fotogeschichten oder Hörspiele. Das Tablet ist hierfür ein fantastisches Werkzeug, da es mit Videokamera, Fotoapparat und Mikrofon sehr vielfältige Funktionen beinhaltet. Was aber nicht außer Acht gelassen werden darf ist, dass bei der Nutzung von Geräten und Apps der Datenschutz sowie die Persönlichkeitsrechte von Kindern geschützt werden müssen.
Marina Ziegler: Sollte Medienerziehung in der Schule als eigenes Fach unterrichtet oder in andere Fächer integriert werden?
Moritz Mehlem: Sowohl als auch – das sind zwei Themen, die immer wichtiger werden. An erster Stelle steht für mich, dass wir Lehrer uns in „Medienerziehung“ fortbilden, denn kein Lehrer kann das automatisch. Wir haben an unserer Schule „Internet Scouts“ als AG, die den anderen Schülern als Multiplikatoren weiterhelfen. Wir haben darüber hinaus im 5. und 6. Schuljahr ein paar einzelne Unterrichtseinheiten, die sich auf das Arbeiten mit dem Internet beziehen. Ich wünsche mir für meine Schule eine regelmäßige Unterstützung von externen Medienpädagogen, die mit uns ein Medienbildungsprogramm für den Unterricht von Klasse 5 bis 10 erarbeiten und uns Lehrer darin schulen.
Marina Ziegler: Wie sieht die aktuelle Situation an den Schulen aus? Gibt es für IT-Fragen professionelle Ansprechpartner oder werden Lehrkräfte „nebenbei“ damit beauftragt?
Jörg Ludwig: Das wandelt sich momentan: Früher waren das fast immer Lehrer, die das „nebenbei“ gemacht haben. Wenn man eine gute Qualität erreichen will, muss das professioneller laufen. Dazu brauchen Städte und Kommunen eigene Mitarbeiter, die sich darum kümmern. Noch besser ist ein eigener IT-Admin an der Schule. Aber es geht vermehrt in die richtige Richtung, viele Schulträger kümmern sich nun darum und stellen Fachpersonal ein.
Oliver Kunzmann: Das ist immer vom Träger und von der Schulform abhängig. Berufsbildende Schulen haben häufig einen Vollzeit-Admin oder sogar mehrere IT-Fachkräfte. Da merkt man wo das Geld herkommt, denn bei den berufsbildenden Schulen steckt die Industrie dahinter. Ganz besonders im Grundschulbereich fällt auf, dass es meist kein IT-Fachpersonal an den Schulen gibt.
Sabine Eder: Es ist wichtig, die Kitas nicht zu vergessen. Gerade Kitas haben oft nicht die entsprechende Infrastruktur und brauchen Unterstützung, technische und im Bereich der Weiterbildung, Medienbildung umzusetzen.
Markus Lautner: Meine Schule wurde kürzlich komplett mit Smartboards ausgestattet und die klassischen Tafeln wurden abgeschafft. Viele Lehrer haben den Kreidetafeln hinterher getrauert. Zu sehen, wie auch die jungen Schüler von der 3. bis 6. Klasse mit dem Smartboard hantieren und wie schnell sie sich damit zurechtfinden, war für mich beeindruckend.
Der Umgang eines älteren Lehrerkollegen mit dem Smartphone ist ein anderer, als ihn die Schüler heutzutage haben. Da braucht es jemanden, der versteht, wie die Jugendlichen mit dem Smartphone umgehen. Auch ich fände einen dedizierten Medienbeauftragten an unserer Schule sinnvoll.
Marina Ziegler: Was ist der Blick von Eltern auf das Thema Medienerziehung bzw. Herr Kunzmann, was sind Ihre Erfahrungen als Vater?
Oliver Kunzmann: Als Vater hätte ich mir gewünscht, dass die Medienerziehung für meine Kinder schon im Kindergarten begonnen hätte, selbst in der Grundschule hätte ich mich darüber gefreut. Die Kinder fangen mit „Antolin“ (Anmerkung der Redaktion: Antolin ist ein webbasiertes Programm zur Leseförderung in Schulen) in der dritten Klasse an und fragen dann zu Hause nach dem iPad. Ebenso wichtig sind die Themen Schutz vor Missbrauch, eine zeitlich begrenzte Nutzung und Inhaltsfilter. Auch Eltern brauchen die entsprechende Fortbildung und müssen mit ins Boot geholt werden.
Marina Ziegler: Vielen Dank an alle Teilnehmenden für die interessante Diskussion!
Fußnote: *Aus Gründen der Leserlichkeit wird im Folgenden nur die männliche Form angegeben. Wir beziehen uns natürlich auf alle Geschlechter m, w, d.
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