Im Einklang zwischen individueller Privatsphäre und globaler Internetsicherheit

Garry Kasparov 29 Mai 2017

Es ist zwar sinnvoll, seine Daten vor der Weitergabe durch Internet Service Provider zu schützen, jedoch ist der Zugriff auf persönliche Daten durch autoritäre Regierungen für alle Weltbürger weitaus gefährlicher.

Obwohl sich die meisten Experten einig sind, dass die ersten hundert Tage der Amtszeit des Präsidenten Trump im Bereich der Gesetzgebung nicht besonders überwältigend waren, hat er es dennoch geschafft, eine Maßnahme zur Internet-Privatsphäre zu verabschieden, die für einigen Wirbel in den Medien sorgte. Es handelt sich dabei um die Rücknahme der Datenschutzgesetze, die verhindern, dass Internetdienstanbieter den Browserverlauf der Benutzer an Drittanbieter verkaufen können. Sobald es so aussah, dass das entsprechende Papier zur Unterzeichnung auf dem Schreibtisch des Präsidenten landen würde, erschienen laufend Artikel darüber, in denen die Entwicklung angeprangert wurde. Sensationsmeldungen sagten voraus, dass das Ende des Internets, so wie wir es heute kennen, nahe sei, dass unsere persönlichen Daten an große Unternehmen herausgegeben würden, und in den sozialen Medien hörte man Schreie vom „Ende der Privatsphäre“.

Nachforschung und Entscheidungsfindung über Technologie können wir nicht länger auslagern – wir alle sollten informierte Nutzer der digitalen Werkzeuge sein, die unser Leben strukturieren.

Wie bei den meisten Nachrichten zu technischen Fragen wurden die Feinheiten nicht ausreichend mitgeteilt und der große Teil der Bevölkerung erhielt nur unzureichend Kenntnis von diesen Abläufen. Es wurde auch dadurch nicht einfacher, dass sich sehr schnell verschiedene Lager entlang der Trennlinien zwischen den politischen Parteien bildeten. Ich würde lieber eine ausgewogenere Betrachtung anstellen und auf diese Weise einige Missverständnisse klären, die sich um diese Angelegenheiten ranken. Ein klares Verständnis von diesen Konzepten hat einen hohen Stellenwert und ich würde Euch empfehlen, Euch auch selbstständig tiefgreifender mit ihnen zu befassen. Nachforschung und Entscheidungsfindung über Technologie können wir nicht länger auslagern – wir alle sollten informierte Nutzer der digitalen Werkzeuge sein, die unser Leben strukturieren.

Ich würde diese Gesetzgebung zwar nicht als verbraucherfreundlich loben, aber sie ist an erster Stelle auch nicht der dramatische Rückschritt, den angstmachende Meldungen in ihr sehen wollen. Die gesetzlichen Regelungen, die dadurch aufgehoben werden sollen, wurden durch die Obama-Administration im Jahre 2016 eingeführt, sind deshalb noch recht neu und insofern umstritten, dass sie anstelle der Federal Trade Commission (FTC - in den USA zuständig für den Verbraucherschutz) durch die Federal Communications Commission (FCC - regelt in den USA die Kommunikationswege) beschlossen wurden, wobei durch die Internetdienstleister argumentiert wird, dass die FTC als Agentur für die Regulierung der Privatsphäre im Internet zuständig ist. Außerdem sind Firmen wie Google und Facebook ohnehin schon in der Lage, Informationen von ihren Benutzern zu erfassen und zu Werbezwecken an Dritte weiterzugeben. Diese Informationen werden anonymisiert gespeichert, was sich aber durch eine Erfassung durch die Internetdienstanbieter nicht ändern würde; da die gesetzlichen Vorschriften, durch die eine Verknüpfung der Browserdaten mit Einzelpersonen verhindert wird, weiterhin gültig bleiben. Ein Grund zur Beunruhigung aber liegt im Ausmaß der den Internetdienstanbietern zur Verfügung stehenden Browserverläufe. Google, Facebook und andere gleichartige Unternehmen verfügen nur über Zugang zu einem begrenzten Teil Ihrer Aktivitäten im Internet, während Ihr Internetdienstanbieter Zugriff auf die Gesamtheit Ihrer Online-Aktivitäten hat, was einen weiteren Grund dafür darstellt, warum verschlüsselte Verbindungen immer wichtiger werden.

Zwar sorgt diese verstärkte Datenerfassung für Grund zur Besorgnis, im Vergleich zu anderen Bedrohungen im Internetzeitalter scheint sie jedoch weniger bedeutungsvoll. Wenn Ihr als Einzelperson online sicher sein möchtet, könnt Ihr einige Schritte unternehmen, um zuverlässig geschützt zu sein (weitere Informationen dazu im Folgenden). Überlegt Euch jedoch die weitreichenden Folgen der Internetüberwachung von Personen, die nicht in einer freien Gesellschaft leben. Ihr mögt ein wenig verblüfft sein, wenn plötzlich beim Durchsehen Eurer E-Mails eine Werbebotschaft eingeblendet wird, in der die Wanderausrüstung angepriesen wird, nach der Ihr gerade gesucht habt. Diese Informationen werden jedoch von namhaften Unternehmen verwaltet, die mit Euren Klicks und Einkäufen Geld verdienen möchten. Möglicherweise stellt dies einen Eingriff in die Privatsphäre dar, meistens könnt Ihr jedoch Eure Zustimmung verweigern, und Unternehmen, die Eure Daten missbrauchen, können Klagen und heftige Gegenreaktionen der Öffentlichkeit drohen. In ähnlicher Weise sind Amtsträger der Wählerschaft gegenüber rechenschaftspflichtig, und durch eine Flut von Telefonanrufen kann sich oft das Blatt wenden.

Zwar sorgt diese verstärkte Datenerfassung für Grund zur Besorgnis, im Vergleich zu anderen Bedrohungen im Internetzeitalter scheint sie jedoch weniger bedeutungsvoll. 

Im deutlichen Gegensatz dazu haben repressive Regimes, die diese Datenspeicher ausnutzen möchten, ganz andere, weitaus böswilligere Ziele. Ihr Ziel ist nicht die Steigerung der Quartalsumsätze oder der Schutz der Bevölkerung vor Terrorangriffen, sondern eine stärkere Kontrolle der Bürger, einschließlich der Verfolgung von Andersdenkenden. Es lohnt sich, seine Rechte zu verteidigen und sich der Ausweitung der Macht von Unternehmen und öffentlicher Gewalt in unserem Leben zu widersetzen, jedoch ist es auch wichtig, realistisch zu bleiben. Autoritäre Regierungen arbeiten daran, immer mehr Einfluss und Kontrolle über das digitale Umfeld zu erlangen. Da das Internet keine Landesgrenzen kennt, gelangen sie in die freie Welt, um ihre Interessen zu verfolgen.

Ein Beispiel: Das im Jahre 2016 in Russland verabschiedete Yarovaya-Gesetz. Durch dieses Gesetz sind alle in Russland tätigen Internetunternehmen verpflichtet, eine Kopie ihrer Kommunikation sechs Monate lang und ihrer Metadaten drei Jahre lang innerhalb der Grenzen Russlands aufzubewahren. Durch das Gesetz wird außerdem festgelegt, dass Unternehmen diese Informationen auf Anfrage und ohne Gerichtsbeschluss der Regierung offenlegen müssen. Außerdem müssen verschlüsselte Informationen zusammen mit dem Schlüssel den Behörden übergeben werden. Google und Apple sind dem bereits nachgekommen, während Twitter noch über bestimmte Bedingungen mit der Regierung verhandelt und LinkedIn aufgrund von Nichterfüllung der Auflagen gesperrt wurde. Die Folgen für Nutzer dieser Dienste in Russland sind enorm: Die Regierung erhält praktisch uneingeschränkt Vollmacht zur Durchsicht aller Kommunikation, nach eigenem Ermessen und zu jeder Zeit - und das hat zwangsläufig Auswirkungen auf die Benutzer in anderen Ländern. Und in Russland gibt es keine Kontrollmechanismen oder keine Aufsicht wie Bürgerinitiativen oder eine unabhängige Justiz, um die „Beobachter“ zu beobachten.

Autoritäre Regierungen arbeiten daran, immer mehr Einfluss und Kontrolle über das digitale Umfeld zu erlangen.  

Benutzer weltweit sollten über diese gefährlichen Entwicklungen informiert werden und Druck auf die beteiligten Unternehmen ausüben, damit diese ihre Entscheidung überdenken, den Forderungen der Diktatoren nachzugeben. Die Medien müssen ebenfalls ihren Fokus verlagern, weg von hauptsächlich politischen Auseinandersetzungen und hin zu besorgniserregenden Schritten, die von repressiven Regimes zur Einschränkung der Freiheit im Internet vorgenommen werden.

Ich möchte Euch zu zwei Dingen raten: bleibt geschützt (auf jeden Fall!), aber behaltet auch das große Ganze im Blick. Was die erste Empfehlung betrifft, ergreift keine übertriebenen Maßnahmen, wo diese nicht angebracht sind, beispielsweise Tools, die zwar nützlich klingen, aber tatsächlich mehr Schaden als Nutzen anrichten können. Inmitten all des Lärms, den die Deregulierung von Trump verursacht hat, haben viele Websites die Vorteile von VPNs (Virtual Private Network, virtuelles privates Netzwerk) angepriesen, um den Augen der Diensteanbieter zu entkommen. Was jedoch weniger oft erwähnt wurde ist, dass einige VPNs Ihr Surfverhalten im Internet noch mehr verfolgen und protokollieren als Internetdienstanbieter. Einige sind auch nicht so sicher wie Ihr denkt. Wenn Ihr diesen Weg gehen möchten, vergewissert Euch, ein Unternehmen mit einem guten Ruf zu wählen und das Kleingedruckte zu lesen. Kollektive Verteidigung bedeutet, dass Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie unser Vertrauen enttäuschen.

Zu meiner zweiten Empfehlung: Wenn Ihr die digitalen Tools einsetzt, auf die wir uns tagtäglich verlassen, denkt daran, dass alles Spuren hinterlässt. Genauso wie viele von uns auf die hinter ihren Lieblingskleidermarken stehenden Arbeitspraktiken aufmerksam geworden sind, müssen wir uns der Richtlinien bewusst werden, die große Internetunternehmen weltweit einführen. Hier gibt es keine leicht verständlichen Bilder von Ausbeuterbetrieben oder Kinderarbeit, sondern die Erkenntnis, dass unsere Internetnutzung von den gleichen Unternehmen ermöglicht wird, die möglicherweise am Missbrauch der Internetsicherheit an anderen Stellen beteiligt sind. Wenn uns mehr an der Zukunft des Internets gelegen ist (als nur unsere eigenen Interessen an persönlicher Sicherheit), müssen wir unmissverständlich deutlich machen, dass wir es nicht dulden, wenn die Freiheit der Profitsucht zum Opfer fällt.

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