Ob und wie die einzelnen Plattformen Hassrede moderieren.
Die Plattform Parler war Anfang des Jahres mehrere Wochen lang abgeschaltet, ist aber nun wieder verfügbar. Aus diesem Anlass habe ich mir einige Gedanken über die "ideale Plattform" für polarisierende Themen und Hassrede gemacht.
Dabei scheint es zwei wesentliche Elemente zu geben: die Möglichkeit, neue Follower für Hassgruppen zu gewinnen, und die Möglichkeit, ihre Botschaft weitreichend zu verbreiten. Beides hängt eng zusammen – und ist jeweils unverzichtbar. Parler ist zwar wegen Hasstiraden in die Schlagzeilen geraten, aber technisch gesehen eigentlich nicht die optimale Lösung. Dafür ist Telegram vor Kurzem ins Rampenlicht getreten, weil es sich für die Verbreitung von Hassrede und Verschwörungstheorien so wunderbar eignet.
Dieser Blog-Artikel ergab sich aus einem E-Mail-Austausch mit Megan Squire, die sich als Sicherheitsforscherin und Professorin für Informationstechnologie mit extremen Gruppierungen und deren digitaler Kommunikation beschäftigt. Sie brachte mich auf die Idee, als wir über einen Bericht des US-Southern Poverty Law Center (SPLC) diskutierten. Darin wird beschrieben, wie Telegram die Art von Hassreden in den USA verändert hat. Die Fakten, die das Dokument über die Zunahme von extremistischen Gruppierungen im letzten Jahr darlegt, sind beängstigend. Aber nicht nur das SPLC ist darauf aufmerksam geworden. Zahlreiche weitere Forscher haben sich weltweit ebenfalls mit dem explosiven Zulauf befasst, den Hassgruppen seit der Corona-Pandemie erfahren.
Warum Telegram?
Die steigenden Nutzerzahlen von Telegram sind nur ein Teil der Wahrheit. Telegram stellt eine umfassende soziale Plattform für die Verbreitung von Hassrede und das Anwerben neuer Follower bereit. Natürlich hat Facebook weiterhin den größten Nutzerkreis, aber der „Hater-Technologie-Stack“ (wenn man das so bezeichnen darf) ist längst nicht so ausgereift wie auf Telegram. In der folgenden Übersicht werden die drei Netzwerke im Hinblick auf Hassverbreitung und Follower-Gewinnung verglichen:
Kriterien
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Parler
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Facebook
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Telegram
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Art des Dienstes
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Mikroblog
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Soziales Netzwerk
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Messaging+
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Einheitlicher und transparenter Meldeprozess für Hassrede
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Nein
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Weitgehend und wird verbessert
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Nein
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E-Mail-Support
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Nein
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Ja
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Nein
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Moderation von Inhalten durch Community Manager
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Teilweise
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Ja
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Kommt darauf an (siehe unten)
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Einspruchs-verfahren
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Ja
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Ja
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Nein
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Verschlüsselte Nachrichten
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Nein
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Separate App
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Integriert
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Hauptsitz
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USA (derzeit)
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USA
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Dubai
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Wachstum der Follower in extremistischen Grupppen
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Unbekannt
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Unbekannt
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Starke Zunahme (SPLC-Bericht)
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Cloud-basierter Dateispeicher für Gruppen
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Nein
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Nein
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< 2 GB
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Gruppenbasierte Sticker-Sets
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Nein
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Nein
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Ja
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Bot-Infrastruktur und Zahlungs-verarbeitung in Gruppen
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Nein
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Nein
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Ja
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„Telegram ist bei radikaleren Gruppen derzeit die klar bevorzugte Plattform. Gründe dafür sind die technischen Funktionen sowie der Zugriff und die Moderation“, so Squire. Die obige Tabelle verdeutlicht den großen Unterschied: Die meisten Moderationsfunktionen, die Facebook (endlich) bietet, sind bei Telegram nicht vorhanden oder schlecht umgesetzt und bei Parler weit und breit nicht zu finden.
Über die Dateifreigabe von Telegram beispielsweise „können Hassgruppen ihre E-Books, Podcasts, Handbücher und Videos in benutzerfreundlichen Propaganda-Bibliotheken speichern“. Die Links in der Tabelle verweisen auf Erklärungen, warum die Bot-Infrastruktur und Funktion zur Sticker-Erstellung für diese Hassgruppen so hilfreich sind.
Was ist mit der Moderation von Inhalten?
Hierzu liegen abweichende Informationen vor. Aus diesem Grund steht in den Feldern für Parler und Telegram „Kommt darauf an“. Nach Aussage von Telegram übernehmen die Nutzer*innen die Moderation von Inhalten. Laut den FAQ gibt es jedoch ein Moderatorenteam. Parler weist in seinen Community-Leitlinien an einer Stelle darauf hin, dass Inhalte nicht moderiert oder gelöscht werden. An einer anderen Stelle ist das Gegenteil zu lesen. Ich persönlich vermute, dass sehr wenig Moderation betrieben wird.
Für Parler sind die Aussichten nicht besonders rosig. Selbst wenn die Plattform eine Abschaltung verhindern kann (nicht selbstverständlich), fehlen ihr fast alle Elemente, die Facebook und Telegram auszeichnen. Durch das Twitter-ähnliche Mikroblogging ist Parler nicht sehr effektiv, weder bei der Verbreitung von Botschaften (es sei denn, einige Promis locken große Follower-Scharen an), noch bei der Rekrutierung von Anhängern. Obendrein werden die mobilen Parler-Apps mittlerweile von App-Anbietern boykottiert.
Telegram-Nutzer profitieren von zwei technischen Funktionen: verschlüsselte Nachrichten und unterschiedliche Oberflächen in der mobilen App und auf der Website. Über die Messaging-Funktionen der verschiedenen sozialen Netzwerke wurde schon viel geschrieben (so auch in meinem zugehörigen Artikel). Telegram schützt die Privatsphäre seiner Nutzer effektiver (als der Facebook Messenger) und bietet eine wesentlich bessere Integration in sein soziales Hauptnetzwerk.
Der zweite Pluspunkt ist die Anzeige von Inhalten für Telegram-Nutzer. Damit die Telegram-App auf Google Play und im App Store zugelassen wird, wurden „Marker“ für Selbstzensur eingerichtet. Dadurch werden besonders anstößige Beiträge in der mobilen App ausgeblendet. In einem Webbrowser lassen sich diese Inhalte aber problemlos anzeigen. Diesen Weg könnte auch Parler wählen, sofern die Plattform irgendwann kontinuierlich läuft.
Die Definition eines „Hater-Technologie-Stacks“ ist also gar nicht so einfach und entwickelt sich ständig weiter, weil Hassgruppen immer neue (digitale) Wege suchen, ihre Botschaften zu verbreiten.
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