Vier Mythen über technischen Missbrauch und was man dagegen tun kann

Emma McGowan 28 Apr 2021

Unsere CISO Jaya Baloo leitete anlässlich des Tech Events “Collision” eine Diskussionsrunde mit internationalen Experten, in der verschiedene Mythen über technischen Missbrauch diskutiert wurden.

Zu Beginn der Diskussionsrunde wurde “technischer Missbrauch” als die Verwendung von Technologie definiert, um eine andere Person zu verfolgen, zu belästigen, zu überwachen, zu zwingen, zu isolieren, zu erschrecken und zu kontrollieren. Dies tritt meist im Kontext mit anderen Formen von Gewalt in der Partnerschaft auf.

Als ein konkretes Beispiel für technischen Missbrauch verwies Baloo auf Stalkerware-Technologien, die eingesetzt werden, um jemanden ohne dessen Zustimmung heimlich zu verfolgen und auszuspionieren. Während der Covid-19-Pandemie und den weltweiten sozialen Einschränkungen wie z.B.  Ausgangssperren hat Avast einen starken Anstieg bei der Installation von Stalkerware und Spyware festgestellt. Baloo räumte ein, dass das, was unsere Software an Stalkerware-Apps aufspüren kann, nur die Spitze des Eisbergs ist.

Mythos Nr. 1: "Technik-Missbrauch ist ziemlich selten und die Vorteile der Technik überwiegen die geringe Anzahl an Einzelfällen."

Ein Kritikpunkt am Technik-Missbrauch ist, dass er nur einen kleinen Teil der Gesellschaft betrifft - und daher die Vorteile der Technologie die realen Auswirkungen überwiegen. Latifa Lyles von TIME'S UP weist jedoch darauf hin, dass Gewalt in Paarbeziehungen ein weltweites Problem ist. Jede dritte Frau berichtet, mindestens einmal in ihrem Leben körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt zu haben. 

"Wir wissen, dass dies ein Verbrechen ist, über das viel zu wenig berichtet wird", so Lyles. "Partnergewalt ist die am weitesten verbreitete Form der Gewalt gegen Frauen. Wenn wir das berücksichtigen, müssen wir bedenken, dass Probleme, Kontrolle und Gewalt leider Teil unseres täglichen Lebens sind."

Laut Rebecca Parsons von Thoughtworks sprechen wir, wenn wir über Technologie sprechen, in der Regel darüber, dass eine Gruppe profitiert und die andere verliert. Und in diesem Fall sind die potenziellen Verluste tatsächlich katastrophal. "Wir mögen sagen, dass die Gesellschaft als Ganzes profitiert, aber was ist der Preis, den die Opfer zahlen?", fragte sie. "Man muss sich nicht lange mit Statistiken beschäftigen, um zu sehen, wie schlimme Dinge im Cyberspace beginnen und im physischen Raum enden. Wir reden hier von Menschen, die im Krankenhaus landen oder denen ihre Kinder genommen werden - oder sie sterben. Wir alle wollen den technischen Fortschritt und die damit verbundenen Bequemlichkeiten, aber der Preis dafür ist das Leben eines Menschen? Oder das Leben eines Kindes? Oder die mentale Gesundheit eines Kindes?"

Mythos Nr. 2: "Stalkerware ist doch wie eine 'Find my friend'-App."

Der Grundgedanke hinter diesem Mythos über Technikmissbrauch ist: Wen interessiert das schon? Viele von uns benutzen Apps wie “Find My Friend” oder “Find My iPhone”. Was ist daran so schlimm? Erica Olsen vom US-amerikanischen National Network to End Domestic Violence sagte, dass dieser Mythos eine Sache richtig benennt: Die zugrunde liegende Technologie für Stalkerware und “nützliche Apps” ist die gleiche. 

"Die meisten Technologien können für gute Ziele oder für schlechte, bösartige Ziele eingesetzt werden", sagte sie. "Jeder weiß, dass ein Hammer einen Nagel einschlagen kann - und auch jemanden töten kann. Ähnliches gilt für Software." Das Ziel sei es nicht, den Menschen die Vorteile der Technologien zu verwehren, sondern ihren Missbrauch einzudämmen. Um dies zu erreichen, müssen wir jedoch in der gesamten Gesellschaft große Veränderungen vornehmen. 

Der Missbrauch von Technologien ist ein Problem, das nicht allein von der Tech-Industrie gelöst werden kann und wird. "App-Entwickler und andere Software-Entwickler müssen über ihre persönlichen Erfahrungen hinaus denken. Was also passieren muss, ist die Erweiterung der Stakeholder-Gruppe. Jemand, der versucht, nur eine "Find My Friend"-Technologie zu entwerfen, denkt wahrscheinlich nicht darüber nach, dass jemand anderes diese Technologie missbrauchen könnte.”

Rebecca Parsons von Thoughtworks sprach von der Notwendigkeit, eine Vielzahl von Stimmen und Perspektiven in den Raum zu bekommen, in dem neue Entwicklungen entstehen. Mit anderen Worten: Tech-Firmen müssen aktiv daran arbeiten, mehr technische Fachkräfte mit diversem Hintergrund in die Belegschaft aufzunehmen. "Wir brauchen Vielfalt in Tech-Teams", sagt auch Stela Suils von Lean In Portugal. "Wenn es eine homogene demografische Gruppe gibt, die Software entwickelt, haben wir diese Probleme, weil die Vision begrenzt ist."

Olsen weist darauf hin, dass so viele Technologien heutzutage mit der Annahme geschaffen werden, dass diese die Sicherheit der Anwender*innen erhöhen, auch wenn dies nicht zwingend der Fall ist. Sie verweist auf intelligente IoT-Geräte - wie die Heimüberwachung - als Beispiel dafür, wie ein Werkzeug auf unbeabsichtigte Weise verwendet werden kann. Ein Smart-Home-Überwachungssystem geht davon aus, dass die Menschen im eigenen Haus sicher sind. Aber ein Opfer von häuslicher Gewalt ist gerade zu Hause überhaupt nicht sicher. 

Mythos Nr. 3: "Mit all der Software und Technik heutzutage, wer wird da nicht überwacht? Das ist ein Teil des Lebens im 21. Jahrhundert."

Von Facebook über Browser bis hin zu Smartphones - die meisten Menschen wissen, dass wir von Technologieunternehmen getrackt werden. Während einige dies (mit Unbehagen) als unvermeidlich akzeptieren, hat Cindy Cohn von der Electronic Frontier Foundation ihre Karriere damit verbracht, sich dagegenzustellen. 

"Das Geschäftsmodell, das das Internet übernommen hat, dreht sich um Überwachung", sagt sie. "So viele Tools, auf die wir uns verlassen, sind bereits zweischneidig. Sie dienen nicht nur uns - sie dienen auch einem sekundären Dienst."

Das Ziel müsse sein, ein neues Online-Geschäftsmodell zu schaffen, das nicht auf Überwachung beruht. Sobald die Notwendigkeit für diese Technologien beseitigt ist, wird es schwieriger sein, sie zu missbrauchen.

Mythos Nr. 4: "Tech-Missbrauch kann man nicht beheben, ohne die Nutzererfahrung (User Experience) für alle anderen zu zerstören."

Wo einige Leute ein unüberwindbares Problem sehen, wenn es darum geht, die allgegenwärtige Überwachung loszuwerden, sieht Cohn eine Herausforderung für die gesamte Branche. 

"In der Tech-Branche sollte es darum gehen, groß zu denken und die Welt zu verändern!" sagte Cohn. "Wenn Sie sich für einen Innovator halten, hier ist Ihr Problem! Die Person, die in Zukunft gewinnen wird, ist die Person, die ein überwachungsfreies Internet bauen kann." Das sei es, woran Innovatoren arbeiten sollten, fuhr sie fort. 

Ein Beispiel, an dem man sich orientieren kann, so Lyles, ist, wie Aktivisten Unternehmen dazu gebracht haben, sich um ihren Kohlenstoff-Fußabdruck und den Klimawandel zu kümmern - etwas, von dem die Leute früher sagten, es sei unmöglich, es zu erreichen. Es habe Jahre des Kampfes, des Schadens und des Rechtsstreits gebraucht, bis diese Änderungen in Kraft getreten seien, sagte sie, aber sie seien in Kraft getreten. Wenn uns dieses Thema also am Herzen liegt, müssen wir uns alle anstrengen. 

"Aber es wird keine Kursänderung geben, wenn nicht Menschen mit einer Vielzahl von Perspektiven und Identitäten beteiligt sind," sagte Lyles. "Die Art und Weise, wie die Tech-Branche heute aussieht, ist nicht repräsentativ dafür, wie ich denke, dass sie aussehen sollte, wenn sie keinen gesellschaftlichen Schaden anrichten sollte."

Die Bekämpfung des Tech-Missbrauchs ist eine große Aufgabe - und sie erfordert, dass alle an Bord kommen. Unternehmen wie Avast, Organisation wie die Coalition Against Stalkerware und der Weisse Ring, die sich für die Rechte von Opfern einsetzen, sind führend beim Schutz von Menschen vor dem Missbrauch von Technologie. Und denken Sie daran, was unsere CISO Jaya Baloo sagt: Was wir aktuell sehen, ist nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt noch so viel zu tun.

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