Die Datenschutz- und Sicherheitsrisiken durch Genomik-Kits (genetische Tests) für Verbraucher

Garry Kasparov 21 Aug 2018

Genomik-Kits für Verbraucher sind der Renner. Am Black Friday sowie am Cyber Monday verkaufte der Branchenführer 23&Me im letzten Jahr 1,5 Millionen davon.

Ich kann diesen Reiz durchaus nachvollziehen. Einerseits ist es spannend zu erfahren, woher unsere Vorfahren stammen und dabei u. U. einige überraschende Tatsachen über die eigene Familienherkunft zu erfahren, um dieses Wissen auf einer Cocktail-Party zum Besten zu geben. Vielleicht entdecken Sie auch das eine oder andere verloren geglaubte Familienmitglied wieder. Bedeutsamer noch ist, dass die Menschen erfahren wollen, für welche Krankheiten sie anfällig sind, und welche Schritte sie unternehmen können, um vorhandene Risiken zu mindern. Ganz abgesehen von den Bedenken hinsichtlich Genauigkeit und Zuverlässigkeit dieser Tests droht uns dabei noch ganz anderes Unheil: die Gefährdung der Privatsphäre und der Sicherheit durch die Anhäufung großer Mengen biometrischer Daten.

Schon jetzt geben wir schon viele – möglicherweise zu viele –Informationen über uns preis – in sozialen Netzwerken und bei Hunderten von Unternehmen als Konsequenz der stetig steigenden Verbreitung neuer digitaler Tools und Dienste. Und für all diese wundervollen Dienste „zahlen“ wir mit unseren persönlichen Informationen und Vorlieben, weil wir das Gefühl haben, wir bekämen das alles umsonst. Die Weitergabe unserer biometrischen Daten, sogar unserer DNA, ist nur ein weiterer Schritt in diese Richtung. Die potenziellen wissenschaftlichen und persönlichen Vorteile sind enorm, dennoch wir sind kaum imstande nachzuvollziehen, wie uns unsere Neigung zum Preisgeben von Informationen eines Tages bitter einholen könnte – persönlich und als Gesellschaft.

Vorteile

Bevor wir diese Probleme und dann einige mögliche Lösungen untersuchen, werfen wir einen Blick auf die Erfolge, die diese Technologie mit sich bringen könnte – und dies in einigen Fällen bereits getan hat. Die Fähigkeit, riesige Mengen an DNA und anderen physischen Daten zu analysieren, wird die Medizin in die Lage versetzen, langfristige Trends zu erkennen, die Wirksamkeit verschiedener Gesundheitspraktiken und -maßnahmen in allen geografischen und demografischen Bereichen zu testen und neue, evidenzbasierte Lösungen zu entwickeln. Die Patienten können sich selbstständig wichtige Informationen über ihre Gesundheit beschaffen und werden dadurch besser informiert und aktiver am Gesundheitssystem beteiligt.

Dies hängt natürlich davon ab, ob die Verbraucher auf vertrauenswürdige und zuverlässige Informationsquellen zurückgreifen. Einige Genomik-Unternehmen wie Helix erwägen Partnerschaften mit Dritten wie der Mayo-Klinik, um zu gewährleisten, dass ihre Kunden diese genetischen Daten korrekt bewerten können. Dies führt uns zu unserem altbekannten Dilemma: Während wir normalerweise mehr Informationen und mehr Verantwortung fordern, kann uns dieser Wunsch schnell überfordern und nachteilige Entscheidungen nach sich ziehen bzw. dazu führen, dass wir Entscheidungen delegieren, und zwar an Unternehmen mit ihren ganz eigenen Interessen.

Genetische Diskriminierung

Einen offensichtlicher Nachteil birgt die potenzielle Möglichkeit, dass Unternehmen und Arbeitgeber diese genetischen Informationen zur Diskriminierung von Personen mit erhöhtem Krankheitsrisiko missbrauchen. Dieses Problem ist nicht ganz neu und es existiert bereits eine Gesetzgebung in Gestalt des Genetic Nondiscrimination Act (Gesetz gegen genetische Diskriminierung), dass jegliche Vorzugsbehandlung auf Grundlage solcher Daten verhindern soll. Die neue Bedeutung der Gentests steigert nur das Risiko für diese Art von Diskriminierung. Daher müssen wir wachsam bleiben und bisherige Gesetze entsprechend anpassen. Der Trend könnte in beunruhigender Weise eskalieren und uns damit in die Nähe von Dystopien bringen, wie sie in Sciencefiction-Klassikern wie Gattaca heraufbeschworen werden. Ich befürworte zwar den Fortschritt, allerdings sollten wir dabei die Risiken nie aus den Augen verlieren. Wir haben bereits heute die Möglichkeit, Menschen auf Krankheiten zu untersuchen, bevor sich diese überhaupt manifestieren, allerdings besteht kein Anlass anzunehmen, dass wir dank angemessener Regulierung und der Einhaltung ethischer Grundsätze eine Welt betreten, in der Menschen gemäß ihrem genetischen Potential eingeordnet werden.

DNA als Währung

Zu den weiteren Möglichkeiten, die sich abzeichnen, zählt die Umwandlung genetischer Daten in eine neue Art von Währung. Wie in den meisten Fällen des technologischen Fortschritts ist dieser Trend nicht an sich gut oder schlecht. Es handelt sich jedoch um eine Entwicklung, über die wir die Kontrolle behalten müssen, da sie sich sonst in den Händen rücksichtsloser Akteure gegen die Menschen richten kann. Haben wir ein besonderes Eigentumsrecht auf unsere genetische Daten, wie wir es beispielweise bei den Daten unseres Browserverlaufs nicht besitzen? In einem Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA im Jahr 2013 wurde festgestellt, dass das Unternehmen für Molekulardiagnostik – Myriad Genetics – gegen das Patentrecht verstoßen hatte, nachdem es versuchte, Profit aus genetischem Material zu schlagen, was allerdings vom Gericht als natürlich vorkommend und daher als nicht patentierfähig eingestuft wurde. Ein Patent auf der Grundlage synthetisch hergestellter DNA war jedoch erlaubt. Die Entscheidung, welche Informationen für private Zwecke genutzt werden dürfen und welche nicht, wird sich mit zunehmender Entwicklung dieses Bereichs immer schwieriger gestalten.

Für zusätzliche Verwirrung sorgen Start-ups wie LunaDNA und Nebula Genomics, die versuchen, die Branche der Verbraucher-Genomik auf das Niveau eines eigenen Wirtschaftszweigs zu heben. Diese „Bio-Makler“ möchten den Menschen die Möglichkeit bieten, ihre Daten gegen ein Entgelt an biomedizinische Institutionen zu vermieten oder zu verkaufen. Eine Möglichkeit würde sich in einem Kooperationssystem anbieten, in dem der Wert mit der Größe des Datensatzes steigt und die einzelnen Beitragszahler nach der Höhe ihrer "genetischen Investition" bezahlt werden – eine wahrlich erschreckende Vorstellung! In einem anderen Geschäftsmodell würde man vom Verbraucher verlangen, sein gesamtes Genom gegen Bezahlung sequenzieren zu lassen, da vollständige Informationen für die Forschung am wertvollsten sind.

Je mehr Möglichkeiten für solche genetischen „Transaktionen“ vorhanden sind, desto größer sind die Chancen, umtriebige Akteure anzuziehen und Datenschutzverletzungen zu riskieren. Wir sollten nicht erst auf ein biometrisches Gegenstück zum Cambridge Analytica-Skandal warten, um eine Bestandsaufnahme der Datenschutzbestimmungen und Sicherheitsstandards der Branche vorzunehmen. Jedes Unternehmen, das dieses Umfeld betritt, sollte für die essenziellen und höchst privaten Daten, auf die es zugreift, Verantwortung und Rechenschaftspflicht übernehmen. Es gilt zu bedenken, dass Daten ungeachtet unserer besten Absichten unweigerlich an Orten landen, die wir nicht im Sinn hatten, mitunter aus Versehen, ein anderes Mal getrieben durch kriminelle Energie. Da wir immer größere Komponenten unseres Lebens in Daten verwandeln – wie schon bei unseren Finanzen und unserer Kommunikation – müssen wir das Risiko abwägen, wohin dies alles führen kann.

Lösungen/Fazit

Welche konkreten Schritte können wir unternehmen, um den Sicherheitsrisiken dieses Booms bei biometrischen Tests zu begegnen? Es gibt Beispiele für existierende Institutionen, die ihre Vorschriften regelmäßig aktualisieren, um mit den Veränderungen Schritt zu halten. 2017 lockerte die US Food and Drug Administration (FDA) die Vorschriften für genetische Testsätze für Verbraucher. Die neue Regelung erlaubt Firmen, die in der Vergangenheit eine FDA-Zustimmung für einen Test erhalten haben, noch vor der Überprüfung mit dem Verkauf künftiger Tests zu beginnen. Diese Entscheidung ist ein Versuch, die Flexibilität zu steigern und sich an einen sich schnell entwickelnden Markt anzupassen, während die bestehenden Standards für Sicherheit und Zuverlässigkeit beibehalten werden. (Es werden nach wie vor sämtliche Tests geprüft und Risikotests bleiben von der neuen Regelung ausgeschlossen.)

Es sind noch viele Fragen offen. Wie viel von diesem Bereich wollen wir der öffentlichen Aufsicht überlassen, und wie viel sollte in den Händen privater Unternehmen verbleiben? Sollten wir eine öffentliche Datenbank einrichten, in der biometrische Daten oder Teile davon in ein gemeinnütziges öffentliches Gut umgewandelt werden, oder distanzieren wir uns zu sehr von der Gewinnorientierung, um die notwendigen Fortschritte einzuschränken? Wie immer schließe ich mit offenem Ende. Ich bin zuversichtlich, dass diese Innovationen uns spannende neue Horizonte eröffnen, solange wir mit der gleichen Dosis an gesundem Menschenverstand und Integrität voranschreiten.

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